30.11.05

What The Bleep Do We Know?

WHAT THE #$*! DO WE (K)NOW?!
 
USA 2004
 
Regie: Mark Vicente, Betsy Chasse, William Arntz, Buch: Betsy Chasse, William Arntz, Matthew Hoffman, Darsteller: Marlee Matlin als Amanda, Robert Bailey jr. als Reggie, John Ross Bowie als Elliot, Barry Newman als Frank, Elaine Hendrix als Jennifer, Kamera: David Bridges, Mark Vicente, Musik: Christopher Franke, Michael Whalen, Schnitt: Jonathan P. Shaw, Produzent: Betsy Chasse, William Arntz, Produktionsfirma: Lord of the Wind, Länge: 113 Minuten, Verleih: Horizon Filmverleih/24 Bilder, Kinostart: 24.11.2005
 
Wer bin ich? Weshalb sind wir hier? Warum sollte ich diesen Film sehen? Das sind - mehr oder weniger - essentielle Fragen der Menschheit. Dieser populärwissenschaftliche Spiel-, Trick- und Doku-Film macht sich auf, Quanten-Physik zu erklären und gibt sich am Ende damit zufrieden, uns einfach zu glücklichen Menschen zu machen. Eine ungewöhnliche Achterbahnfahrt durch Wissenschaft, Esoterik und Lebenshilfe.
 
Der unausgesprochene Titel lautet "What the fuck do we know?" - Was zum Teufel wissen wir eigentlich? (Der prüde Ami ersetzt das F-Wort mit dem Zensurpiepen aus Radio und TV: Bleep.) Um eine Enttäuschung vorwegzunehmen: Wir wissen nach fast zwei Stunden nicht viel mehr über Quanten-Physik. Doch mit etwas Glück glauben wir, dass auch die noch nicht verstandene Theoretische Physik Mut machen kann, unser Lebensglück selbst in die Hand zu nehmen.
 
"What The #$*! Do We Know?" - oder kurz gesagt "#$*!" - beginnt als seltene Erscheinung von Populärwissenschaft im Kino: Wilde Computer-Animationen im Stile von ZDF-Wissenschaft-Dokumentationen. Viele, viele kluge "Talking Heads", die lächelnd keine Antwort haben. Und eine fiktive Geschichte um die scheue, schwerhörige Fotografin Amanda (Marlee Matlin aus "Gottes vergessene Kinder").
 
Was ist Realität? Wie sehen wir? Mit unseren Augen? Oder mit dem Gehirn? Wir können einfach nicht sagen, ob es eine Welt um uns gibt oder ob sich unser Gehirn das alles nur ausdenkt. Leben wir also auf einem riesigen Holodeck? Sind wir in der Matrix? Das ist Konstruktivismus in physikalische Theorien gegossen und sehr aufwändig inszeniert - von drei Regisseuren auf ebenso vielen Ebenen. Also ein Film, in den man vielleicht keinen Kritiker mit humanistischer Bildung sondern einen Quereinsteiger von den Naturwissenschaften schicken sollte? Doch die Physiker beschweren sich "web-weit" nur über falsch dargestellte Fach(idioten)details. Und darum geht es im Film bald auch nicht mehr. Eine der "tollen" Antworten all dieser verschmitzt lächelnden Denker lautet nämlich: Nicht im Wissen liegt das Leben, sondern im Rätseln.
 
Also wissen wir nicht, wir vermuten nur, dass in der Quanten-Physik (eine Theorie, nicht mehr) dauernd Partikel verschwinden. Tauchen sie vielleicht in einer anderen Welt auf? Das führt über "Schrödingers Katze" (die hier weder erwähnt noch tiergequält wird) zu der Idee vieler paralleler Welten. Und für die verbitterte Amanda nach einer polnischen Hochzeit mit folgendem Besäufnis zur Erkenntnis, dass positives Denken die Welt und vor allem ihr eigenes Leben verändern kann. So landet die Fortsetzung der Relativitätstheorie beim Einfach-Einstein: Alles ist relativ. Oder wie es jeder Disney-Film sagt: Du kannst es schaffen - was auch immer "es" sein sollte! Positiv denken oder Der Triumph des Willens - aber das war wieder ein anderer Film.
 
Nun ist "#$*!" nicht "Sophies Welt" für Physiker. Man kann danach auch nicht besser erklären, was Quanten-Physik ist, erhielt aber eine Menge Denkanstösse für viele Lebenssituationen. Da geben die Denker dann plötzlich Lebenshilfe wie in Petra oder Frigitte, da wendet sich Amandas Drama aus Selbstzweifeln und freudlosem Leben zum Besseren, da wird im Vorbeigehen noch etwas gesunder Atheismus gepredigt.
 
Welche persönliche Erkenntnis man auch immer aus diesem Film-Mix ziehen mag, die sorgfältige Machart ist ebenso bemerkenswert wie die Wirkung bei einen ungewöhnlich breiten Kinoeinsatz in den USA. Viele Szenen sind auf dem Niveau aktueller Film(trick)technik, einige Beispiele wurden witzig, einige überzogen bebildert. Das sieht dann zeitweise so atemberaubend choreographiert aus wie bei einem Dennis Potter-Musical, doch "The Singing Physiker" war eigentlich nicht angesagt. Aber vielleicht können demnächst ganz viele Naturwissenschaftler endlich mal mit ihren esoterischen Freundinnen zusammen Kino erleben.

29.11.05

Preview: Ich und Du und alle, die wir kennen

Me And You And Everyone We Know
 
USA 2005 Regie: Miranda July Buch: Miranda July Darsteller: John Hawkes (Richard Swersey), Miranda July (Christine Jesperson), Brad William Henke (Andrew), Ellen Geer (Ellen), Jordan Potter (Shamus), Brandon Ratcliff (Robby), Miles Thompson (Peter),  Jason R. Rice (Chad), Carlie Westermann (Sylvie), Natasha Slayton (Heather), Najarra Townsend (Rebecca) Kamera: Chuy Chavez Schnitt: Andrew Dickler / Charles Ireland Produzent: Gina Kwon Ausführende Produzenten: Jonathan Sehring / Caroline Kaplan, Holly Becker, Illiana Ninkolic Länge: 91 Min. Verleih: Alamode Kinostart: 23.2.

Website: www.meandyoumovie.com
 
"Obschönitäten (sic!) und Wunder" hätte dieses kleine Meisterwerk auch heißen können. Oder einfach: "Unglaublich!" Der erstaunlich vielseitigen, 1974 geborenen amerikanischen Künstlerin Miranda July gelang mit ihrem ersten Spielfilm "Me And You ..." ein vielseitig schillerndes Gebilde kreativer Ideen und anrührender Momente.
 
Wann hat man im Kino schon mal um das Leben eines Goldfischs gebangt? (Ok - Pixars "Findet Nemo" zählt jetzt nicht.) Christine fährt gerade wieder mit ihrem Senioren-Taxi durch die Stadt und beobachtet, wie ein nachlässiger Vater das Tierchen im Plastikbeutel auf dem Dach seines Wagens vergisst. Mitten im fließenden Verkehr versucht Christine nun, durch gleichmäßige Geschwindigkeit den Fisch zu retten. Nicht ohne ihm vorher in einem Gebet versichert zu haben, dass er in seinen letzten Minuten geliebt wurde.
 
Dies lächerlich kleine, wunderbare Drama ist nur einer der zahlreichen ganz eigenen, ganz besonderen Momente, dieses gleichzeitig verträumten und doch kristall-klaren Films. Protagonistin ist die Regisseurin selbst in der Rolle Christines, einer Künstlerin, die Urlaubsfotos mit unterschiedlichen Rollen und dem Rauschen des Fernsehers vertont. Diese Videokunst der unscheinbaren, stillen, in rosa Tönen gestreiften Frau kommt bei zynischen, in schwarz gewandten Galeristinnen selbstverständlich nicht an. Ihre Begegnung mit dem philosophischen Schuhverkäufer Richard (John Hawkes) inspiriert Christine zu einer wunderschön kreativen und verspielten Romantik.
 
Neben dieser Begegnung fesseln noch vier andere, ebenso ungewöhnliche Beziehungen, die auch - sicherlich in den USA - provokanten Aspekte des Sexuellen enthalten. "3D and Touch in the Digital" (3D und Berührung im Digitalen Zeitalter) lautet der Titel einer Ausstellung im Film und könnte auch helfen, dem unerhört freudigen und herzerwärmenden Geschehen einen abstrakteren Sinn abzugewinnen. Besonders eindrücklich der Internet-Chat der beiden Söhne von Richard: Peter, klärt den kleinen Robby auf, dass die Frage nach den Brüsten herausbringt, ob ein Mann oder eine Frau an der anderen Seite in die Tasten hackt. Dann kommt der circa 7-Jährige mit einem analen Vorschlag, der selbst jemanden überrascht, der Prüderie nur als Variante beim Rollenspiel kennt. (Hier besteht eine entfernte Verwandtschaft zum Multi-Schauspieler-Kunststück "Palindrome" von Todd Solondz.)
 
Dass dies völlig selbstverständlich und natürlich wirkt, dass sich aus diesem scheinbaren Gag ein Chat-Kontakt fortentwickelt und es sogar zu einer atemberaubend unmöglichen Begegnung kommt, kann "Me And You ..." erneut auf der Seite seiner Wunder verbuchen. Dabei ist all dies den Ideen und dem Inszenierungstalent von Miranda July zuschreiben. "Me And You ..." wurde mit angenehm geringem Budget einfach inszeniert. Wohltuend auch die weitgehende Abwesenheit von Zynismus in den Figuren und überbetonter Angst in der Dramatik. Die weitgehend unbekannten Darsteller dürfen dadurch ihr Können voll ausspielen, vor allem John Hawkes als allein erziehender Romantiker Richard beeindruckt nachhaltig. Die einzigen speziellen Effekte sind die täuschenden Illusionen von Realitätsbildern, der Kunst von Christine verwandt.
 
Neben faszinierend schrägen Erwachsenen- und Kinder-Figuren erlaubt sich Miranda July auch treffende Seitenhiebe auf den Kunstbetrieb. Sie macht klar, wo naturalistische Bilder von Vögel hingehören: In Bäume! Kommunikation wäre ein durchgehendes Thema, wenn man so ein leichtes Kunstwerk mit etwas garstigem, gewöhnlichen wie Themen belasten will. Man chatet, verständigt sich über Videos, fabriziert die uralte Kunstform der ASCII-Code-Bildchen und ein Bilderrahmen übernimmt den Job, "Ich liebe dich" zu sagen.
 
Miranda July zeigt sich bei den mittlerweile zahlreichen Auftritten und Preisverleihungen (Goldene Kamera in Cannes 2005, Jury-Preis in Sundance 2005, Publikumspreis in Newport 2005) als eine - ganz wie im Film - schüchtern wirkende Frau, die ganz selbstverständlich in der Literatur, mit Performances und Romanen jongliert, die Kraft der Kreativität spielerisch vorführt. Dabei besticht vor allem ihr Einfühlvermögen in Menschen, Tiere und sogar Ruinen.
 
Und "Me And You ..." erspart uns die selbstverständlich gewordenen Dramaturgien, die irgendeine Maschine in Hollywood "vorschreibt". Gerade erfuhren wir in einem magischen Highlight, wie und weshalb die Sonne jeden morgen aufgeht, dann ist der Film zu Ende, man wundert sich und es ist unendlich schade. Denn davon könnte man viel mehr gebrauchen. Frischer Wind für das Programmkino halt.

28.11.05

The Devil's Rejects -


USA 2005 (The Devil's Rejects) Regie: Rob Zombie mit Sid Haig, Bill Moseley, Sheri Moon Zombie, William Forsysthe 106 Min. FSK ab 18
 
Ein "Haus der 1000 Leichen" war anscheinend noch nicht genug, um den Blutdurst des Publikums zu stillen. Der Heavy-Metal-Rocker und Heavy-Brutal-Filmer Rob Zombie zieht seine Blutspur weiter durch das ganz normale Kino.
 
Nach einer hirnrissigen Schießerei und nachdem fast alle Verdächtigen fliehen konnten, entdeckt die Polizei eine Folter-Farm. Mal nicht von der CIA oder der USA-Army, diesmal von einer ganz normalen amerikanischen Landei-Familie. Zig Morde gehen auf ihr Konto und der Film lässt die Zottels auf der Flucht fröhlich weiter quälen, foltern, vergewaltigen. Ein Polizist (William Forsysthe) jagt mit seiner persönlichen Rache hinter ihnen her, moralisch nicht viel besser als die Verbrecher. Seine Helfer, kriminelle Rocker, sind ebensolch ein Abschaum.
 
Fast wird die pervertierte (Killer-) Familie am Ende ganz wie üblich gerettet. Die Musik ("Free as a bird"), die langen Haaren geben ihnen den Gestus von Rebellen. Bei Rob Zombie sind sadistische Massenmörder die Helden, ähnlich hirnlose und gottesfürchtige Polizisten die rachsüchtigen Sadisten.
 
Zahllose, detailliert vorgeführte Leichen, extremer Sadismus, Verrohung und Gewaltorgien gehörten mal zum Nischenkino für Menschen mit ganz besonderen Vorlieben. Wirklich erschreckend ist, dass so etwas heute im Mainstream-Kino angenommen wird. Dabei wird die ganze Rohheit mit ähnlich magerem Talent gespielt wie Vorabendserien, die Dialoge der Mörder drehen sich nur um das Wort "Fuck", Nacktheit und Sex zeigt sich verklemmt "provokant" wie in billigen Pornoheftchen.

Banderas dreht in seiner Heimat

Banderas dreht in seiner Heimat
 
Von Günter H. Jekubzik
 
Madrid. Zuhause in Spanien ist er ein anderer Superstar: Antonio Banderas stellte in Madrid seinen zweiten Film unter eigener Regie vor. Der spanische Film "El camino de los Ingleses" (Der Weg der Engländer) wird für der Hollywood-Schauspieler eine Heimkehr nach Malaga, der Stadt seiner Jugend und einer intensiven Zeit.
Die Dreharbeiten beginnen in diesen Tagen und sollen vor Ostern abgeschlossen sein.

Bei der Vorstellung seines neuen Filmprojekts in Madrids ehemaliger königlicher Teppichfabrik übernahm Banderas in schicker Lederjacke selbst die Rolle des Moderators. Er hätte immer ein Schuldgefühl empfunden, keine spanischen Filme mehr gedreht zu haben, erzählte er. Und auf die Schwierigkeiten seines nicht besonders erfolgreichen Regiedebüts "Verrückt in Alabama" (mit seiner Frau Melanie Griffith in der Hauptrolle) angesprochen, begrüßte er die Dreharbeiten in der eigenen Sprache, das Englische sei doch hinderlich gewesen, seine kreativen Ideen umzusetzen.
 
Banderas wurde in Spanien mit den Filmen von Pedro Almodovar ("Atame. Fessle mich") bekannt und hatte seinen Hollywood-Durchbruch mit "Mambo Kings". Er war kürzlich noch auf Promotions-Tour für "Die Maske des Zorro" und wurde im August 45 Jahre alt. "El camino de los Ingleses" ist ein betont lokales Projekt, bei dem vor allem in Malaga junge Talente für die vielen Personen der Geschichte gesucht wurden. Von dort stammt auch die Schauspielerin Viktoria Abril, mit der Banderas nach vier gemeinsamen Filmen - u.a. Almodovars "Atame. Fessle mich" - nun wieder zusammen arbeiten will. Die Verehrung für Antonio durch sein Team nimmt vielfältige Formen an: Er ist mal Kumpel, mal Vater, sogar als Sonne, aber vor allem auch als Mensch geschätzt und wird noch richtig rot bei diesen Lobeshymnen.
 
Mit dem gleichnamigen Roman gewann der Buch- und Film-Autor Antonio Soler  den hochrangigen spanischen Literaturpreis Premio Nadal 2004. "El camino de los Ingleses" lässt in seiner Adoleszenz-Geschichte die Stimmung am Ende der Siebziger Jahre aufleben, lässt "den Schwindel sehen und fühlen beim Schritt von der Jugend zum Erwachsenenleben", wie Banderas es ausdrückt. Für diesen Film hat der spanische Superstar einige Hollywood-Angebote sausen lassen. Dass es reizvolle Andalusien-Bilder geben wird, garantiert wohl schon die Sponsorentätigkeit des dortigen Tourismusverbandes.

Solange du da bist ***


USA 2005 (Just Like Heaven) Regie: Mark S. Waters mit Reese Witherspoon, Mark Ruffalo, Donal Logue 95 Min. FSK o.A.
 
Zusammenleben gestaltet sich oft schwierig - erst recht, wenn die Mitbewohnerin ein Geist ist! Reese Witherspoon, die sich vor allem aufs Genre "Blond" konzentrierte, überrascht erneut mit Schauspieltalent in dieser nicht ganz himmlischen romantischen Geister-Komödie.
 
Noch dem schweren Verkehrsunfall der völlig überarbeiteten Notärztin Elisabeth Masterson (Reese Witherspoon) erleben wir erst einmal, wie Witwer Danny (Mark Ruffalo) verzweifelt eine Wohnung mit einer guten Couch sucht. Er will mit Hilfe von viel Bier vor allem vergessen. Dass ihm ausgerechnet eine freie Traumwohnung mit Dachgarten zugeflogen kommt, ist ein erstes Wunder. Mit kleinem Haken - denn irgendwann schnautzt ihn eine blonde Frau in seiner frisch gemieteten Wohnung an, er solle gefälligst Untersetzer benutzen, mal Staubsaugen usw. ... Erst vermuten beide einen Mietbetrug, dann, nach ein paar mehr Streits greift sie zum Telefon, um die Polizei zu holen und greift - durch den Hörer. Doch es dauert, bis Elisabeth begreift, dass sie ein Geist ist, der mitten IM Tisch steht. Danny hat derweil Schwierigkeiten, weil nur er sein "Übermieterin" sehen kann.
 
Nach "Ghost - Nachricht von Sam", nach "The Others" und vielen anderen ist diese Filmidee nicht gerade originell, doch sie wird von Ruffalo ("30 über Nacht") und Witherspoon ("Sweet Home Alabama") frisch präsentiert. Im Gegensatz zu "Ghost" bleibt (fast) alles komisch und romantisch. (Der etwas hinterhältige Beitrag zur Diskussion um künstliche Verlängerung des Lebens, fällt hier unter den Tisch.) Es ist wirklich witzig, wie sich die beiden ihn "ihrer" Wohnung begegnen, wie sie ihn mit Gesinge nervt, wie er schamhaft mit Unterhose duscht und die lüsterne Nachbarin mit Selbstgesprächen verwirrt.
 
Doch irgendwann raufen sich die Mitbewohner aus verschiedenen Daseins-Etagen zusammen. Denn Elisabeth liegt tatsächlich im Koma, wie eine gemeinsame - und wieder recht humorvolle - Suche herausbringt.
 
Reese Witherspoon, die in der Johnny Cash-Biographie "Walk the Line", dessen Frau June Carter spielt und begeisternd singt, kann auch hier dem Komödienpart durchaus gute ernste Momente abgewinnen. Eine Überraschung nach zwei Folgen des Dummchen-Films "Natürlich Blond". Mark Ruffalo macht charmant mit, eine schwach kopierte Steve Martin-Routine, zeigt wohl die Grenzen seines Alleinunterhalter-Talents. Doch immer wieder hilft ein flüssiges Drehbuch aus, mal werden bei der Hexen-Jagd Exorzisten, mal Ghostbuster auf den Arm genommen. Eine Notoperation mit Souffleuse, die ein erst panischer, dann betrunkener Danny vor Publikum durchführt, gehört zu den Höhepunkten einer akzeptablen Kino-Unterhaltung von Regisseur Mark Waters ("Freaky Friday").

22.11.05

Serenity - Flucht in neue Welten ***


USA 2005 (Serenity) Regie: Joss Whedon mit Nathan Fillion, Gina Torres, Alan Tudyk 119 Min.
 
Auch Nicht-Erfolg im Fernsehen kann durchaus eine Qualifikation für die Kinoverfilmung bedeuten: Die Serie "Firefly" wurde nach 11 von 14 produzierten Episoden abgesetzt. Eine DVD und Fan-Proteste ermöglichten es Autor und Regisseur Joss Whedon ("Buffy", "Angel"), diesen Film als Weiterführung des Science Fictions zwischen Action und Komik zu realisieren. Mit sichtbar weniger Budget allerdings.
 
Im Jahr 2507 kämpft die Crew des Raumschiffs "Serenity" gegen die dominante Allianz. Mit dabei ist die Telepathin River (Summer Glau), in deren Gedächtnis mächtige Geheimnisse versteckt sind. Während Captain Reynolds (Nathan Fillion) als Held mit lockerer Moral den Kurs vorgibt, ist ihnen ein mysteriöser, asiatisch sadistischer Killer (Chiwetel Ejiofor) auf den Weltraum-Fersen. Flotte Sci-Fi-Unterhaltung mit einigen Schauwerten und modern wenig moralischen Werten.

Merry Christmas ***


Frankreich, BRD, Großbritannien 2005 (Joyeux Noël) Regie: Christian Carion mit Diane Krüger, Benno Fürmann, Guillaume Canet, Daniel Brühl, Gary Lewis 110 Min.
 
Ein unglaublicher Kriegs-Kitsch: Zu schöne Bilder, eine (teilweise) unmögliche Besetzung und doch im Kern ein tief ergreifendes Ereignis: Die gegnerischen Soldaten ignorieren an der Front die Befehle von oben, kommen aus ihren Gräben, gehen auf den "Feind" zu und feiern mit ihm ein stilles Friedensfest.
 
Der festgefahrene Grabenkrieg in Flandern, wo die Industrien ihre Waffen mit ungeahnten Vernichtungskräften und besonders perfiden Techniken "an den Mann brachten". In Verdun, den Ardennen, an der Marne waren im Ersten Weltkrieg die Soldaten noch tausendfach weniger wert waren als ihre heutigen "Kameraden" am Hindukusch. Auch der deutsche Tenor Nikolaus (Benno Fürmann) wurde von der Bühne weg eingezogen, will keine Sonderbehandlung und wird einfacher Soldat. Im Dreck, im Ungeziefer und im menschlichen Verfall der Schützen- und Laufgräben bildet er eine moralische Instanz. (Als düsterer Gegenspieler zu schwer beladen: "Offizier" Daniel Brühl.)
 
Mit einer wunderbaren Stimme und geschickt eingesetzten Beziehungen arrangiert derweil seine Frau, die Starsopranistin Anna (Diana Krüger), einen Konzertabend in der Nähe der Front. Nikolaus legt mit seiner Partnerin vor dem debil kriegslüsternen Kronprinzen ein eher peinliches Duett hin. Wie hieß es noch: Nach Verdun kann man keine Lieder mehr singen ... Dann schleichen sie sich zu den Kameraden an die Front, um auch dort ein Ständchen zu bringen. Und bei "Stille Nacht" geschieht das Unfassbare: Nikolaus steigt singend aus dem Graben und in der Trümmerlandschaft zwischen den Fronten weiter zu schmettern. Aus den feindlichen Linien donnert nach einem Moment des Atemanhaltens Applaus, dann fallen zuerst die schottischen Dudelsackspieler ein, die französischen Champagnerflaschen gesellen sich bald auch zur Verbrüderung. Offiziere stoßen an, gemeine Soldaten versuchen sich in Verständigung und Handel in seltenen und ungerecht auf die Gegner verteilten Lebensmitteln. Weihnachtsbäume werden aufgestellt, ein Fußballspiel macht aus dem Schlacht- ein Spielfeld.
 
Ein unglaublicher Moment, der in den nächsten Tagen zur Dauereinrichtung wird. Selbst als die rückwärtige Artillerie der einen Seite schweren Beschuss ankündigt, werden die anvisierten Kameraden einfach in die eigenen Schützengräben eingeladen und bald darauf umgekehrt. Dass diese tatsächlich ereignete Utopie nicht andauern konnte, zeigt die Zahl der aktuellen Kriege. Die Feldpost verrät den unverschämten, anarchischen und zersetzenden Friedenszustand, die Verantwortlichen werden abtransportiert, beziehungsweise mit dem besonderen Segen der Kirche bei Himmelfahrtskommandos ganz sicher "verheizt". So einfacher und vernünftiger Frieden wäre wohl nur zu haben, wenn die Entscheidungsträger in den Parlamenten oder sonstwo selber mit an die Front müssten.
 
Der internationale produzierte und besetzte Film hieß seit der Premiere in Cannes "Joyeux Noel", in England "Merry Christmas" und auf gut deutsch "Merry Christmas". Er wirkt anfangs peinlich dekorativ, zu schön für solch ein grausames Thema. Auch Fürmann als Tenor knödelt das Playbackbild zur Stimme eines anderen ziemlich unglaubwürdig heraus. Doch dann das so nahe liegende und doch unfassbare, was 1914 an der Westfront tatsächlich geschah: Die Soldaten, die sowieso meist nicht wissen, wofür sie eigentlich morden, hören auf zu schießen und lernen den Menschen im schon seit der Kindheit verteufelten Gegner kennen. Genau! Was sonst? Gerade in der schlichten Klarheit rührt und schmerzt die Abwesenheit dieser besten Möglichkeit im allgemeinen Kriegswesen sehr tief.

Der Exorzismus von Emily Rose **


USA 2005 (The Exorcism of Emily Rose) Regie: Scott Derrickson mit Laura Linney, Jennifer Carpenter, Tom Wilkinson, Campbell Scott 120 Min.
 
Verteufelt raffiniert, wie diese Mischung aus Gerichts- und Exorzismusfilm uns glauben machen will, es sei schon ok, wenn bei der Teufelsaustreibung der eine oder andere Teenager drauf geht. Altbekannte Schocker im Stile von "Der Exorzist" oder "Das Omen" vermischt mit schockierend zähen Gerichtssequenzen. So will man zwei überkommen geglaubte Riten widerbeleben (sic!): Ex(orzismus)-und-Weg-Filme und Teufelsaustreibungen.
 
Priester Moore (Tom Wilkinson) wird verhaftet, als er irgendwo in amerikanisch ländlicher Einöde eines seiner Schäfchen besuchen will. Das Mädchen Emily Rose (eindrucksvolle Verrenkungen: Jennifer Carpenter) ist nämlich schon tot und sieht sehr übel aus - klar, wenn an der einen Seite irgendwelche Teufel und an der anderen Gotteskrieger an einem rumzerren, geht es blutig und eklig zu.
 
Im Auftrag der Erzdiözese soll die aufstrebende Rechtsanwältin und Agnostikerin Erin Bruner (Laura Linney), den Exorzisten Moore verteidigen und vor allem dafür sorgen, dass dieser vor Gericht den Mund hält. Doch ernst und gefasst lehnt der Kathole alle Angebote ab, er will die Wahrheit ans Licht zerren: Emily Rose war vom Teufel besessen! Und das Mädel gab trotz gemeinster Fürchte-Dich- und Horror-Szenarien keinen Zentimeter heiligen Boden preis, lehnte schon ziemlich zermartert sogar einen Freifahrschein direkt in den Himmel ab, den Maria höchstpersönlich anbot. Nein, Emily wollte den Geistern zeigen, das ein Gottes-Kind bis zum letzten Blutstropfen kämpft. Ein Opfer-Lamm mit Christen-Verdienstkreuz Klasse 1.
 
Jetzt wird die ganze Geschichte vor Gericht breitgetreten, Rückblenden sorgen ziemlich heftig und schrecklich dafür, dass niemand wegdämmert kann. Und dieser geschickt gesetzte Rahmen bildet den Clou des erzkonservativen Films: Die Nicht-Existenz des Bösen könne ja nicht bewiesen werden, heißt es in der Verteidigungsrede. Aber es kann auch nicht bewiesen werden, dass die katholische Kirche kein teuflischer Verein zur Verführung und Geißelung harmloser Menschen ist. Das sind logische Tricks und keine ernsthaften Argumente. Das Böse in Form von Waffenhändlern, Kriegstreibern oder Vergewaltigern ließe sich allerdings beispielsweise ganz gut feststellen und bekämpfen, wenn man nicht gerade mit Exorzismus, Glaubenskriegen oder dem Jenseits beschäftigt ist!
 
Allerdings muss man sagen: Gut gebrüllt Mittelalter. Das Ganze führt recht geschickt auf den Leim der Kirchenbank. Wie Erin Bruner von der schwarz gekleideten, ungläubigen und zynisch kalten Karriere-Frau durch ein paar nächtliche und pünktliche Besuche vom Belzebub zur Kirchensteuerzahlerin wird, ist gut gemacht. Jennifer Carpenter zeigt ein tolles Gesicht und eindruckvolle Fratzen, die Zeug zum Kino-Ikon haben. Exorzist Tom Wilkinson könnte wie sein Vorgänger in eine Spielfilmserie einsteigen, bei der reihenweise junge Leute tot-gerettet werden.
 
So will die durchaus effektive Horror-Inszenierung mehr sein als harmloser Kino-Schrecken. Sie basiert - und das ist wirklich schauerlich - auf der wahren Geschichte einer deutschen Studentin, die 1976 von bayrischen Pfarrern umgebracht wurde. Ein Film, der dies rechtfertigt, schreit danach, von einer aufgeklärten Kritik mit Feuer und Flamme ausgetrieben zu werden.

Ein ungezähmtes Leben ***


USA 2005 (An unfinished life) Regie: Lasse Hallström mit Jennifer Lopez, Robert Redford, Morgan Freeman 107 Min.
 
Lasse Hallström ließe sich auf gut deutsch mit "Schwall-schön" übersetzen. Nach der Leidensleier "Gilbert Grape", dem intensiv ruhigen "Schiffsmeldungen", dem Märchen-Kitsch "Chocolat" und dem nicht ideal besetzten "Gottes Werk und Teufels Beitrag" verwandelt der Regisseur diesmal einen dichten und menschlich interessanten Stoff um Trauer und Abschied in ein nettes Kinogeschichtchen, bei dem alles stimmt, aber nichts wirklich vom Hocker reißt.
 
Nachdem sie ihr Mann wieder zusammen geschlagen hat, haut Jean (JLo wieder als misshandelte Frau) mit ihrer Tochter Griff ab, zur zweit schlechtesten Option, zur Ranch des Schwiegervaters Einar (Robert Redford) in Wyoming. Der zeigt sich als altes Raubein im Cowboy-Land, als Bärenflüsterer und verstockt Trauernder. Denn ein Unfall mit Jean am Steuer raubte ihm den Sohn. Jetzt lässt ihn der Anblick der Enkelin langsam auftauen. Doch erst ist Konfrontation angesagt zwischen der stolzen Schwiegertochter und dem verletzten alten Mann. Als weise Instanz lebt und leidet Mitch (Morgan Freeman) in seiner Hütte nebenan. Sein Körper schmerzt unter riesigen Narben seit er vom Bären zerrissen wurde. Einar war dabei, aber zu betrunken, um zu helfen.
 
Eine Handvoll eigenwilliger Typen (den gefangenen Bären zählen wir der Einfachheit halber mit), fest verschlossen in ihnen Schmerz und Verlust. Das gibt genug Stoff für Drama auf kleiner Flamme einer gemächlichen Entwicklung. Mit Robert Redford und Morgan Freeman braucht man sich bei solch einer Geschichte keine Gedanken zu machen. Wenn Jennifer Lopez dabei ist, schon. Doch die Rolle der geschlagenen Frau, die als Kämpferin für ihre Tochter wieder zu eigenem Selbstbewusstsein findet, steht ihr. Sie kann neben den reifen Leinwand-Giganten bestehen. Die vor Lebensweisheit satten Sätze stehen wie die mächtigen Bäume der umgebenden Natur, die auch eine exzellente Nebenrolle spielt.
 
Selbstverständlich ist Drama und Humor immer gut ausgewogen. Wenn der eigenwillige Einar auf dem Fahrrad mit Wimpel ins Dorf fahren muss, kann man von ihm keine ernsthafte Bedrohung mehr befürchten. Allein das Dauergedudel der Tonspur stört den von Lasse Hallström weich gespülten Wohlfühlfilm.

15.11.05

Flotte Filmtage in Hückelhoven

Zum 34. Mal zeigen die Belgisch-Niederländisch-Deutschen Filmtage (18.-20.11.2005), das älteste und zur Zeit einzige Filmfestival im deutschen Teil der Euregio Rhein-Maas, gute und wichtige Werke, die "Auskunft über den politischen, sozialen und besonders den kulturellen Stand des jeweiligen Herkunftslandes" geben, wie Mitorganisatorin Gisela Münzenberg-Wiers betont.

Die renommierte Veranstaltung beginnt Freitag mit dem Kinderfilm "Lauras Stern" (15 Uhr), bevor Jugendliche aus den drei Ländern die Aula in Hückelhoven übernehmen. Das Programm für viele Entdeckungen und Diskussionen reicht vom Politthriller ("De Dominee, NL 2004, Sa. 14 Uhr) über schräge Trecker- und Rollstuhl-Satiren ("Aaltra", B 2004, Sa. 16.30 Uhr) bis zur Selbstverulkung von Hochzeits-Heulsuse Linda de Mol als Barbie als "Ellis in Glamourland" (NL 2004, Sa. 22.15 Uhr). Höhepunkte werden die sensationelle Tanzdokumentation "Rhythm is it" über Jugendliche, die Stravinsky tanzen (Sa. 20.30 Uhr) und der Murnau-Stummfilm "Der brennende Acker" mit Live-Musik sein (Fr. 20 Uhr nach der Eröffnung). Das komplette Programm steht im Internet: www.filmtage-hueckelhoven.de <http://www.filmtage-hueckelhoven.de/>
 

Keine Liederüber Liebe ***

Keine Lieder über Liebe

BRD 2005 (Keine Lieder über Liebe) Regie: Lars Kraume mit Florian Lukas, Jürgen Vogel, Heike Makatsch 101 Min. FSK ab 6

Ein ungewöhnliches Experiment mit prominenter Besatzung: Jürgen Vogel und Heike Makatsch improvisierten in einer "Dreiecks-Geschichte on the Road" Gefühlsausbrüche sowie das Philosophieren über Liebe und das Leben.

Filmstudent Tobias Hansen (Florian Lukas, der falsche Nachrichtensprecher aus "Goodbye, Lenin") will einen Film über seinen Bruder Markus (Jürgen Vogel) und dessen Band drehen. Was ein rockiges Roadmovie werden könnte, entwickelt sich jedoch zu einer typischen Nabelschau im Dienste der Eifersucht. Denn Tobias verdächtigt seine Freundin Ellen (Heike Makatsch) des Seitensprungs ausgerechnet mit dem Bruder. Der Dreh zu Dritt mit der Band als ungefragte Staffage soll "Bruder-Liebe" an den Tag bringen. Und der Film im Film sieht auch erst einmal so aus: Krampfiges Psycho-Drama, miese Stimmung, Launen und diffuse Vorwürfe. Dazwischen Monologe in die digitale (Hand-) Kamera, über Eifersucht, Misstrauen, die realistische Dauer einer Beziehung. Also: Meist keine Lieder über Liebe, nur Gelaber.

Der Vogel singt, die Makatsch mal nicht
Anfangs geht die extreme Selbstentblößung (oder: -blödung) des hochneurotischen Tobias auch dem Publikum mächtig auf die Nerven: Der Typ macht kaputt, was auch immer war. Nach einer langen Stunde ist der Seitensprung dann ausgesprochen und die Figuren können Leidenstiefe entwickeln. Dabei ist die Makatsch typisch: Man nimmt ihr die gespielten Gefühle ab, die improvisierten Sätze nicht. Jürgen Vogel allerdings wirkt bodenständig und echt wie selten. Die auch thematisch manchmal passenden Lieder bringt der Sing-Vogel mit der eigens für diesen Film (und den Soundtrack) konzipierten Band Grand Hotel van Cleef richtig gut. So fühlt man sich am Ende der anstrengenden Tour durch Rockschuppen der Nordlichter - von Hannover, über Wilhelmshaven, Lingen, Bremen, bis zum Amadeus in Oldenburg - doch für die holperigen Film- und Liebesversuche des Anfangs entschädigt.

14.11.05

Hustle & Flow **

Hustle & Flow

USA 2004 (Hustle & Flow) Regie: Craig Brewer mit Terrence Dashon Howard, Anthony Anderson, Taryn Manning 116 Min. FSK ab 12

"It's hard out there for a pimp" - So ein Zuhälter hat es schon schwer! Dies ist der Titelsong und auch irgendwie die Moral einer seltsam angesiedelten Erfolgsgeschichte: Aus dem altmodischen "Vom Tellerwäscher zum Millionär" wurde im MTV-Stil "Vom Zuhälter zum Rap-Star"! Es erforderte schon eine Menge Talent, um diese verquere Geschichte ans Klingen zu bringen.

Was unterscheidet den Menschen vom Hund? Mit dieser hoch philosophischen Betrachtung in einem coolen Dialog wird uns DJay (Terrence Dashon Howard) vorgestellt. Leider wird er unterbrochen, denn ein Kunde fährt auf. Das beste Pferd Nola (Taryn Manning) im (arg kleinen) Stall des Zuhälters DJay muss ran und so lernen wir seine andere Seite kennen. Doch nicht zu genau, denn der vom Musiksender MTV produzierte Film hat sich früh entschieden, dass DJays lyrisches Talent wichtiger als sozialrealistischer oder gar feministischer Kokolores ist. So beschränkt sich die Frustration des Naivchens Nora angesicht ihrer Tätigkeiten auf gerade mal einen Dialog. Ansonsten bleibt es in den Songtexten "cool", Zuhälter zu sein.

Und da jeder Zuhälter "mit einem Traum" seinen Weg machen sollte, findet DJay zuerst einen alten Schulfreund (Anthony Anderson) mit Aufnahmegeräten und dann noch einen weißen Kirchenmusiker Shelby (DJ Qualls). Zusammen basteln sie sich ein Studio, schmeißen zuerst die Frauen raus, um später zu merken, dass es ohne sie - im Chor! - nicht geht.

"Hustle & Flow" - auf schlecht deutsch vielleicht durch "Lude mit Lied" zu übersetzen - erzählt eine musikalische Erfolgsstory mit anrührend einfachen Leutchen. Das reichte für den Publikumspreis beim Sundance-Festival 2005. Für ein anständiges Maß an Authentizität steht Produzent John Singleton, der selbst als Regisseur gerade "Vier Brüder" in den deutschen Kinos hat. Dass dann in den letzten zehn Minuten aus dem Nichts kräftig die Gewalt ausbricht, irritiert. Scheinbar gilt in der Szene: Nur ein toter Rapper ist ein guter Rapper.

L'enfant ****

Belgien, Frankreich 2005 (L'Enfant) Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne mit Jérémie Regnier, Déborah François 95 Min.

Im Mai erhielten die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Lüttich für ihr in der Maas-Stadt angesiedeltes Sozialdrama "L'Enfant" (Das Kind) ihre zweite Goldene Palme. Obwohl sie über die Jahre hauptsächlich in Festivalkreisen Beachtung fanden, blieben sie ihrem sozialen Engagement und ihrem kargen Stil treu. Doch die Belgier sind mit ihrem neuen, stilistisch reduzierten Film "L'Enfant" so spannend wie noch nie. Es gibt in den deprimierend herunter gekommenen Vororten richtige Verfolgungsjagden um den kleinen Gauner Bruno (Jérémie Regnier). Der tollt noch wie ein Kind mit seiner Freundin herum, die gerade ein Baby gebar. Als Bruno wieder einmal kein Geld hat, verkauft er bedenkenlos das Kleinkind für einige Tausend Euro. Erst der Zusammenbruch der Freundin bewegt ihn zur Umkehr, er kann den Deal rückgängig machen, hat jetzt aber die brutalen Kinderhändler am Hals ...

"Menschen, die man nicht mehr sieht, in den Mittelpunkt zu stellen, das interessiert uns", sagte Luc Dardenne in einem Interview mit der taz. "Das ist eine Art Vergeltung für die Stimmung, die heute vorherrscht." So wurde schon die junge Arbeitslose "Rosetta" (1996, Goldene Palme von Cannes) zum verzweifelten Wesen, gehetzt zwischen Jobsuche und der alkoholkranken Mutter auf einem durchnässten Camping-Platz am Rande eines Lütticher Vororts. Das bedeutet Rand der Gesellschaft hoch drei, doch das Besondere an den Filmen der Dardennes, die mit dem Illegalen-Drama "La Promesse" ("Das Versprechen", 1996) erstmals international bekannt wurden, ist die enorme emotionale Wirkung trotz karger Mittel.

Die Sozial-Filmer Dardenne sind immer nahe am Milieu und an ihren Figuren - dank Handkamera. Manchmal unerträglich nah, emotional und auch ganz praktisch, wenn bei "Le Fils" (Der Sohn) die Kritik spottete, dass man ja nur den Rücken des Vaters sähe. (Dessen Darsteller, Olivier Gourmet, tauchte bislang übrigens in jedem Dardenne-Film auf und wird darüber hinaus im frankophonen Kino zum Star.) Doch meist wird man durch diesen Stil tatsächlich "mitgerissen" in die Welt der elenden Helden.

So auch beim Sujet des dummen Jungen, der immer tiefer in die Kriminalität abrutscht. Allerdings ist diesmal das Thema nicht so einzigartig wie bei den Vorgängern. Es wurde so schon recht oft gezeigt - zuletzt in Ken Loachs "Sweet Sixteen". Nur die Nähe zu ihren Menschen, das macht den Dardennes keiner nach.

10.11.05

The Descent - Abgrund des Grauens ****

Großbritannien 2005 (The Descent) Regie: Neil Marshall mit MyAnna Buring, Natalie Jackson Mendoza, Molly Kayll 100 Min.

Mal ein anderer Frauenfilm: Nach einem traumatischen Ereignis - ein drastisch und brutal inszenierter Unfall - bricht Sarah mit fünf Freundinnen zu einen Höhlenkletter-Tour auf. Es soll eine Extrem-Therapie sein, um Sarahs Dämonen los zu werden, doch in den Höhlen entdecken sie andere, menschenfressende.

Übermütig geht es noch in die Tiefe, eine beeindruckende Höhle lockt sie weiter hinein. Dann stürzt hinter ihnen der Kriechgang ein, sie sind gefangen und müssen sich durch unbekanntes Labyrinth weiter kämpfen. Als Höhlentrip ist "The Descent" schon sehr spannend, da hätten gar nicht nach 50 Minuten die menschenfressenden Monster aus ihren Löchern kriechen müssen. Aber dann geht es doch richtig ans Eingemachte, Lampen und einige Lebenslichter gehen aus, im Dunkeln gibt es nur noch das Blutrot und das Grün der Infrarot-Kamera. Eine richtige Killerin wächst aus der Gruppe hervor, eine neue Heldin wird geboren, dekorativ mit Blut beschmiert. Nun ist "Descent" allein ein Film für die hartgesottenen Blut- und Splatter-Fans, die sich gleich in Blutseen suhlen können. Aber spannend bleibt er trotzdem!

Es gibt wieder die bedrohliche Vogelperspektiven aus "Shining" und anfangs nette Schreckmomente. Als es dann abwärts geht, startet Regisseur Neil Marshall ein raffiniertes Spiel mit der Dunkelheit voller unheimlicher Geräusche a la Blair Witch. Es gibt Abstürze, üble Knochenbrüche, beklemmende Situationen - nix für Klaustrophobiker. Doch die Tiefenaction ohne weitere Tiefe wurde für dieses Genre sorgfältig inszeniert, gut gespielt und fesselt mit eindrucksvolle Aufnahmen - meist in blutrot.

7.11.05

In den Schuhen meiner Schwester ****


USA 2005 (In Her Shoes) Regie: Curtis Hanson mit Cameron Diaz, Toni Collette, Shirley MacLaine 130 Min. FSK o.A.
 
Sie könnten verschiedener nicht sein: Die ordentliche, leicht unsichere Anwältin Rose mit der dicken Brille und dem streng zurückgebundenem Haar. Dann das nervige, laute Lebegirl Maggie. Aber sie sind Schwestern! Die blonde, flott aufgemachte Maggie (Cameron Diaz) wickelt jeden Mann um den Finger, schlägt aber nie mehr als viele Drinks und versoffenen Sex heraus. So fliegt sie dank garstiger Stiefmutter zuhause raus und landet bei Rose. Doch das personifizierte Chaos schafft es in Rekord-Geschwindigkeit, nicht nur die Wohnung von Rose (Toni Collette), sondern auch deren frische Beziehung zu ihrem Chef zu zerstören. Damit verdient sich Maggie den nächsten Rauswurf - meint man auch im Publikum ganz überzeugt. Doch gibt es da nicht Mitleid mit diesem verlorenen Häufchen Elend?
 
Schon bald zeigt sich das Gute in Maggie bei einem sehr rührenden Moment: Sie entdeckt, dass da eine Oma ist, von der sie nichts wusste, die ihr zu jedem Geburtstag eine Karte geschickt hat, und alle liegen sie ungeöffnet in der Schublade des Vaters. Das Mädel packt den Müllsack ihrer Sachen und fährt zur Seniorenresidenz von Oma Ella (Shirley MacLaine) in den sonnigen Süden. Hier wird die junge gedankenlose Frau, die alles, was sie jemals erreichte nur aufgrund ihres Aussehens bekam, heftig mit der Vergänglichkeit von Schönheit, Jugend und Gesundheit konfrontiert. Maggie kommt nicht nur zur Ruhe, sondern findet unter den witzigen alten Leutchen auch Hilfe, beispielsweise für ihre Leseschwäche. An der verregneten Ostküste macht derweil Schwester Rose einen heftigen Wandel durch, gibt die Karriere erfolgreiche Anwältin auf und wird Hundsitter.
 
Den "Schuh" seh ich mir nicht an, mögen jetzt viele (Männer) denken. Zugegeben, es hört sich wie einige andere rührselige "Frauenfilme" an. Doch diese "Schuhe" passen besser: Nicht nur sind da drei großartige Schauspielerinnen, die man nicht zusammen erwartetet. Das Zusammenspiel von Cameron Diaz und MacLaine (und das Buch) tun beiden gut. Die MacLaine ist nicht so schrill aufgedreht wie in ihren letzten Rollen. Die Diaz bekommt Gelegenheit, ungewohnte Tiefen darzustellen.
 
"In den Schuhen meiner Schwester" ist vor allem ein Film von Curtis Hanson. Wieder exzellent gefilmt und inszeniert. Typisch Curtis Hanson könnte man sagen, aber außer, dass er immer gute Filme macht, ist bei ihm nichts typisch. Die Reihe mit dem harten Cop-Thriller "L.A. Confidential", der bekifften Anarchie von "Wonder Boys", den Rap-Battles von Eminem in "8 Mile" wird jetzt ergänzt mit diesem guten Frauenfilm. Für den Roman "Zwei Schwestern und ein Hochzeitskleid" von Jennifer Weiner findet der Regisseur richtig gute Bilder und immer genau den richtigen Ton zwischen Sentiment, Humor und Lebensweisheit.
 
So haben die beiden gegeneinander geschnittenen Leben, die gleichen Wurzeln in der Vergangenheit. Rose und Maggie verbindet mehr als die Leidenschaft für schicke Schuhe. Die Frauen sind immer noch die kleinen Schwestern ohne Mutter, die zusammenhalten müssen. Egal was kommt, der Supermann oder das Schwein, die Schwester ist die wichtigste Person im Leben und immer droht die Wahrheit über den Tod der Mutter ...
 

Vier Brüder ***


 
USA 2005 (Four Brothers) Regie: John Singleton mit Mark Wahlberg, Tyrese Gibson, André Benjamin 108 Min. FSK ab 16
 
Was passiert, wenn man einen John Wayne-Western in das verschneite Detroit von heute verpflanzt? Es wird direkt losgeballert! Ansonsten hat diese "Rache für Mutti" von John Singleton ("Boys in the Hood", "Shaft") viele reizvolle Momente serviert auf einem coolen Motown-Soundtrack.
 
Das darf nicht ungesühnt bleiben: Zwei maskierte Gangster knallen Evelyn Mercer (Fionnula Flanagan), den Engel der heruntergekommenen Gegend, brutal im Supermarkt nieder. Und Evelyn war gerade dabei, einen Truthahn für das heiligste der heiligen Familienfeste, für Thanksgiving, zu kaufen! Beim Begräbnis freut sich die Polizei, denn die berüchtigten vier "Söhne" der Evelyn Mercer kommen wieder zusammen. Unter den hunderten Kindern, die sie aus dem Waisenheim an Adoptivfamilien vermittelte, waren diese vier die hoffnungslosen, die unvermittelbaren Fälle. Evelyn kümmerte sich mit großem Herzen und pädagogischem Talent deshalb selbst um sie. Und jetzt wollen die Jungs die Mörder ihrer Mutter nicht nur finden ....
 
Wie beim Western "Die vier Söhne der Katie Elder" aus dem Jahre 1965. John Wayne gab den Ältesten. Der wird jetzt mit dicken Muskeln vom markigen Mark Wahlberg gespielt. Bobby fackelt nie lange und immer was ab. Er denkt nicht gerne, nutzt den Kopf lieber, damit durch die Wand zu rennen. In Wild West-Manier wird direkt geballert - erst schießen, dann fragen! Rüde Methoden und Sprüche bestimmen diesen Familienfilm der anderen Art. Da passt es auch, dass die Volvo-Familienkutsche mal als Waffe benutzt wird.
 
Doch die "Vier Brüder" können mehr als alles niederknallen, was zu den Auftragskillern führt, die ihre Mutti auf dem Gewissen haben. Die harten Kerle heulen alle im Haus der Mutter, sprechen sich zwischen Kloschüssel und Dusche aus. Und sorgen für Spaß, schon wenn die Kombination aus zwei Weißen und zwei Schwarzen als schlagkräftige und eingeschworene Brudertruppe auftritt. Ansonsten satte, gut dosierte Action: Heftige Schießereien, eine brutale Verfolgungsjagd auf Glatteis und ein weißes Western-Finale auf gefrorenem See.
 
Regisseur John Singleton ("2 Fast 2 Furious", "Shaft") machte einst mit "Boyz in the Hood" auf sich aufmerksam und blieb immer dran am Thema "Ghetto". Nun machen die Brüder einen verfallenen Randbezirk von Detroit (un-) sicher, doch das Milieu funktioniert auch hier. Singleton zeichnet knapp und prägnant die Brüder und die richtig Bösen. (Frauen müssen als reine Klischees am Rande bleiben.) Und obwohl im Quartett gleich zwei Pop-Stars dabei sind - Ex-Marky Mark Wahlberg und Andre Benjamin, die eine Hälfte von Outkast - ist nicht nur die Action gut gespielt.

Manderlay *****

Manderlay
 
Dänemark, Dänemark, Schweden, Niederlande, Frankreich, BRD, USA 2005 (Manderlay) Regie: Lars von Trier mit Bryce Dallas Howard, Isaach de Bankolé, Danny Glover, Willem Dafoe, Lauren Bacall 139 Min.
 
Erst war Dogma mit seinen strengen Regeln und dann kam die große Leere: Im zweiten Teil seiner bejubelten und angefeindeten Amerika-Trilogie setzte der Däne und Palmen-Sieger Lars von Trier ("Breaking the Waves") mit Manderlay" seine Filmkritik der USA fort - ohne Nicole Kidman.
 
Wie in "Dogville" reduzierte von Trier Set und Kulissen auf einen nur als Grundriss existenten Spielort mit minimalen Requisiten. Die Hauptdarstellerin heißt jetzt Bryce Dallas Howard. Ihr wird auch nicht so übel mitgespielt wie zuletzt Kidman und Björk in "Dancer in the Dark". Denn die Provokation liegt diesmal in der Fabel: Grace, knapp der perversen Gerechtigkeit von Dogville entronnen, will nun die Gangstermacht ihres Vaters (Willem Dafoe) nutzen, um die Sklaven einer Baumwollfarm des Südstaates Alabama in die Freiheit zu führen. Es ist das Jahr 1933 und obwohl die Sklaven rechtlich seit 70 Jahren frei sind, hält die Farmbesitzerin Mam (Lauren Bacall) ein strenges Regiment aufrecht. Mit Hilfe ihrer Männer und deren Maschinengewehre macht Grace Weiße und Schwarze gleichberechtigt zu Anteilseignern der Farm Manderlay. Doch nachdem sie alle mit Waffengewalt vom Besseren der Demokratie überzeugt hat, die Ernte nach vielen Gegenschlägen verkauft ist, stellt sich heraus, dass die Schwarzen ihren Status selbst gewählt haben und ihn auch jetzt noch nicht aufgeben wollen. Eine bittere Erkenntnis für die naive Idealistin Grace und eine provokative These, die dem Film vor allem von us-amerikanischer Seite böse Kritik einbrachte.
 
Der "selbst ernannte Lehrer" von Trier ist allerdings nicht so einfach zu packen und schafft es wieder mal, heftige Diskussionen zu entfachen. Zwar ist der Ü-Effekt von "Dogville" vorbei, man weiß, dass es kaum Kulissen geben wird, dass die Farm in weiten Zügen nur mit Kreide auf den Boden gezeichnet ist. Doch erstaunlich ist es wieder, wie stark beim V-Effekt, dieser Reduktion einiger Mittel die anderen doch noch wirken können. Man vergisst tatsächlich, dass die Illusion sehr spärlich auffiel, man ist mit dabei auf dieser Farm, bangt und wundert sich.
 
Bei dieser radikalen Landreform müssen die ehemaligen und unbelehrbaren Sklaventreiber schwarz angemalt das Essen auftragen und dienen. Doch alles so dämlich gut Gemeinte geht furchtbar schief. Wieder - wie in "Dogville" - gibt es diese "demokratischen" Versammlungen mit grausamen Entscheidungen. Und irgendwann muss Grace einsehen, dass sie einfach nur Lust auf diesen herrischen, gut gebauten schwarzen Mansi hat. Es ist ein Schwieriges mit der Moral.
 
Die Revolution gegen den Willen aller in "Manderlay" ist zynische Parabel, an der vielleicht auch Brecht seine Freude gehabt hätte. Was macht man mit dem komischen Vogel, der seinen Käfig nicht verlassen will. Oder hat er recht damit, dass er draußen gar nicht überleben könnte? Es ist nicht ganz einfach, gut und gerecht zu sein. Das muss Grace schmerzlich erfahren. Und das darf das Publikum nachher leidenschaftlich diskutieren. Wenn es denn den Film gesehen hat.

Edelweißpiraten ***


BRD 2002 (Edelweißpiraten) Regie: Niko von Glasow mit Anna Thalbach, Iwan Stebunov, Bela B. Felsenheimer 97 Min.
 
Sie hießen nicht Stauffenberg oder Scholl, doch das kann nicht der Grund sein, weshalb der Widerstand der Edelweißpiraten immer verdrängt wurde. Wenn jetzt ein intensiver, raffiniert inszenierter Film über die Jungendgang aus Köln auch Probleme hat, ins Kino zu kommen, könnte man sich glatt Verschwörungstheorien ausdenken ...
 
Sie sind Jungs und Mädels aus Köln-Ehrenfeld, die das schon mächtig zerbombte Viertel wie ihre Westentasche kennen. Ein Vorteil, wenn man sich mal wieder mit den HJ-Banden prügelt. Die Kluft zwischen Nazi-Anhängern und den ungehorsamen Edelweißpiraten geht gar durch Familien. Hans hört im Radio die verbotene Swing-Musik, während sein jüngerer Bruder Peter den Staatsfunk einstellt und als HJ-ler gedankenlos den Nazis hinterher läuft.
 
Nach einem weiteren Luftangriff findet Karl den verletzten KZ-Häftling Hans, der zum Bomben-Entschärfen draußen war und fliehen konnte. Man versteckt ihn bei der Witwe Cilly (Anna Thalbach), die zuerst ihre Pflege und dann noch mehr gibt. Zum Leidwesen Karls, der Cilly liebt, aber als "zu jung" abgewiesen wird. Es entwickelt sich ein gespanntes Dreiecksverhältnis in lebensgefährlichen Zeiten, denn die Gestapo sucht die Edelweißpiraten und unter dem neuen Anführer Hans radikalisiert sich die Widerstands-Gruppe. Die Situation eskaliert, immer mehr Waffen tauchen auf und schließlich fällt die Gestapo in die Wohnung Cillys ein, die als Unterschlupf und Waffenlager diente.
 
Dies ist nicht der ideologie-schwülstige Widerstand der Geschwister Scholl (-Filme), hier versuchen richtige Menschen im Bombenkrieg zu überleben. Die verrücktesten von ihnen gingen nachts mit der Pistole "Nazis jagen". Das hätten vielleicht mehr Leute machen sollen - aber dann hätte es im Nazi-Deutschland eventuell so ausgesehen wie jetzt im Irak ...
 
Anders als bei den üblichen Ideologie-Heroen mit besten Haltungsnoten zeigen die "Edelweißpiraten" Menschen mit Schwächen. Verrat, Abhängigkeiten, falsche Entscheidungen führen dazu, dass die "Terrorbande" von Köln-Ehrenfeld komplett verhaftet wird und nach brutaler Folter (fast) alle am Galgen hängen.
 
Zentral steht die tragische Figur des Karl, dem nicht nur die Liebe sondern auch der kleine Bruder genommen wird. Karl, das ist der letzte Edelweiß-Überlebende Jean Jülich, nach dessen Erinnerungen der Film gedreht wurde und der selbst im einfachen und ehrlichen Kölner Dialekt den Kommentar spricht.
 
Es gibt "Kölsch" zu hören, dazu flotte Django Reinhardt-Gitarrenläufe in dramatischen Verfolgungen. Die engagierte Produktion zu einem der deutschen Nichtthemen bemüht schräge Kamera, Schwenks aus der Hand, rasche Zooms, hat wirklich glaubwürdige Trümmer-Settings (aus Russland), ist hochspannend, wenn ein kleiner Junge unter einer riesigen Fliegerbombe eingeklemmt ist. Auch bei den Haupt-Darstellern wirkt "Edelweißpiraten" ansehnlich, mit Anna Thalbach als resolute Mutter Cilly und dem belgische Oscar-Macher Jan Decleir als Gestapo-Chef.
 
Doch die knappen Mittel fallen an einigen Stellen auf, etwa bei der hallenden Synchrostimmen. Ansonsten passt die Machart gut zu einem einfachen Milieu ohne aufwändiges Produktionsgeprotze, mit denen andere Nazifilme untergehen.

1.11.05

Tim Burton's Corpse Bride *****


USA 2005 (The Corpse Bride) Regie: Mike Johnson, Tim Burton 77 Min. FSK ab 6

Unsterblich schön - wie Tim Burton es wieder schafft, aus toter Materie die menschlichsten Rührungen hervorzuzaubern. Im Stile seines Kultfilms "The Nightmare Before Christmas" erleben seine wunderbaren Animationsfiguren eine schaurig-schöne Liebe im Untergrund.

Knochengerippen ein Herz zugestehen, ihnen den Atem der Liebe einzuhauchen, dass ist ein besonderes Kunststück. Es beginnt komisch, mit skurril verzerrten Figuren, dem Schwiegervater als plumper Kugel, einem Bischoff, dem das Kinn geradezu furchterweckend flieht. Die ganze Gesellschaft der arrangierten Heirat treten als Monster auf, von Habgier verzerrt. Nur die beiden jungen Opfer Victor und Victoria rühren als purer Ausdruck von Empfindsamkeit in dem Sturm absurder Fratzen: Große, ängstliche Augen, eine Mimik, die Herzen erweicht. Sie ergeben sich dem Zwang, finden aber auch in einem ruhigen Moment Sympathien füreinander. Nur die richtigen Worte bei der chaotischen Hochzeitsprobe kann sich Victor nicht merken. Der zerstreute Poet verdreht alles und zieht sich zum Üben in den schauerlichen Wald zurück. Verspielt steckt er einem vertrockneten Ast den Hochzeitsring an und spricht endlich die richtigen Worte. Nur es war kein Ast sondern der Finger einer unlängst Verstorbenen. Die Braut Emily entsteigt der Erde und nimmt seinen Eheschwur an und schwupps findet sich Victor bei einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft im Totenreich wieder.

Nun dreht das fantastische Kunstwerk richtig auf: Da wird Marimba auf Totenköpfen gespielt - ein Klassiker des alten, noch anarchischen Trickfilms. Ein Auge der Braut fliegt öfters raus und dahinter sieht eine Made umso schärfer. Als Hochzeits-Geschenk erhält Victor einen Schoßhund, als Gerippe-Puzzle, das wie sich von Geisterhand zusammensetzt. Nach dem ersten Schrecken flieht der unfreiwillige Bräutigam - bis er in einem "Dead End" landet, so morbid heißt Sackgasse auf Englisch. Die Verfolgung wäre auch für Emily atemberaubend - wenn sie noch einen Atem hätte. Dabei sehen wir eine Traumwelt wie bei "Caligari" und lachen beim klapperigsten "Vom Winde verweht"-Zitat aller Ewigkeiten.

Tim Burton tauchte seine neue Traumwelt komplett in blasse Farben, alles erscheint wunderbar düster und schwarz, so dass sich die Grufties begeistern werden - aber nicht nur sie. Die enorm aufwändige Machart setzt mit Stop-Motion-Technik, also Bild für Bild, eine morbid-poetische Fantasie um. Ähnlich wie "Wallace und Gromit" nur halt ohne Knete. Das letzte düstere Meisterwerk dieser Art, "Nightmare before Christmas" erobert gerade in Form von Modeaccessoires die Städte. "James und der Riesenpfirsich" - nach Roald Dahl - war eine eher rosige Kinderfilm-Produktion von Burton. "Corpse Bride" begibt sich wie "Edward mit den Scherenhänden" oder "Sleepy Hollow" wieder auf die dunkle Seite des Glücks. Und auch in Victor ist die Verwandtschaft zu "Edward" unverkennbar. Klar Johnny Depp war Vorbild und spricht im Original wie viele andere Prominente (Helena Bonham Carter, Emily Watson, Christopher Lee und Albert Finney). Danny Elfman sorgte wieder für Gänsehaut-Musik und ist als Bonejangles in einer der "Grusical-Einlagen" zu hören.

So lernt man die Toten lieben, schwärmt für das ganz besondere Dunkle Burtons, melancholisch und doch poetisch leicht wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels.

Es ist ein Elch entsprungen **

Es ist ein Elch entsprungen

BRD 2005 (Es ist ein Elch entsprungen) Regie: Ben Verbong mit Mario Adorf, Anja Kling, Raban Bieling 90 Min.
FSK o.A.

Ein Verkehrshinweis: Durch einen Schlittenunfall ist bei Irland ein Feldweg gesperrt und im Voralpenland fallen Elche vom Himmel! So was passiert, wenn der Weihnachtsmann sich zu schnell in die Kurve legt. Vom Himmel hoch schneit es den höflich sprechenden Elch Mister Moose direkt ins Wohnzimmer, Sören ist platt (der Tisch von Ikea) und Billy musste auch dran glauben. Aber der gehänselte und getriezte Bertl findet in dem Riesentier einen Freund. Doch draußen lauert Vermieter Paneke (Jürgen Tarrach), ein passionierter Jäger. Und auch der Weihnachtsmann kommt seinem Zugtier langsam auf die Spur, aber besäuft sich vorher noch mal herrlich. (Adorf sehr originelle, besoffen gröhlene und gar nicht rührselig.) Wenn Mister Moose allerdings nicht wieder los fliegt, gibt es kein Weihnachten ...

Der erste Weihnachtsfilms des Jahres erlebte bei 25 Grad seine Previews. Doch das wird diese Familienunterhaltung im harmlosesten Sinne nicht zum Schwitzen bringen: Ganz im Stile des Sams-Films (so ähnlich heißt auch die Produktionsfirma) gibt es leicht einzuordnende Figuren und eine übersichtliche Geschichte in der gleichen heilen deutsche Kleinstadt-Welt. Dazu all die lieben Gesichter, die uns vom Fernseher schon so vertraut wie die eigene Familie sind: Anja Kling, Mario Adorf, Christine Neubauer. Da pusten Modernismen will "Elch-krass" den Staub nicht weg. Hier wurde wieder einmal "kindgerecht" als "harmlos" missverstanden.

Elizabethtown *****

Elizabethtown

USA 2005 (Elizabethtown) Regie: Cameron Crowe mit Orlando Bloom, Kirsten Dunst, Susan Sarandon 123 Min. FSK o.A.

Zugegeben: Schon der Soundtrack lässt mich für diesen Film schwärmen. Eine exquisite Sammlung zeitlos wichtiger Song - ganz wie bei "Almoust Famous", dem anderen sagenhaften Film von Cameron Crowe. Nun traut er sich, nicht nur eigenwillige Charaktere aufleben zu lassen, er gibt ihrer Suche auch noch eine wundervolle, freie, ganz unerwartete Form. Pures Kinoglück!

Mit gefasstem Gesicht voller Panik und der Mantra "Es geht mir gut" auf den Lippen ging Drew Baylor (Orlando Bloom) seinem ganz persönlichen Fiasco entgegen: Acht Jahre feilte der junge Schuhdesigner an dem neuen Supermodell herum und es wird der Flopp des Jahrtausends. Nun entledigt Drew seine Yuppie-Wohnung von allem Luxus und bereitet sich auf sein cool gestyltes High-Tech-Harakiri vor, als ihn die Nachricht vom Tod des Vaters stört. Mutter Hollie Baylor (Susan Sarandon) und Schwester (Judy Greer) sind völlig aufgelöst, so soll der ach so erfolgreiche und klare Sohn den Leichnam des Vaters bei den Verwandten in Kentucky abholen. Der einzige Passagier des Nachtfluges wird zugetextet von der anstrengenden, nervigen aber faszinierend seltsamen Stewardess Claire (Kirsten Dunst). Sie gibt ihm die Wegbeschreibung nach Elizabethtown und ihre Telefonnummer mit auf den Weg.

Die Heimkehr direkt ins Herz der Familie lässt Drew nur noch staunen: Er wird vom ganzen Nest erwartet, Tante Dora zeigt direkt ihre Bildergalerie - überwältigend für den der vor lauter Arbeit keine Freunde hat. In all diesem Chaos kommen bei Drew noch Erinnerungen an Vater hoch. Und es gibt ein endloses Telefongespräch mit Claire, ein Treffen am Morgen danach - Romantik in höchsten Dosen.

"Elizabethtown" ist wieder ein Cameron Crowe-Film, der sich wohlig, warm anfühlt. Die Entdeckungsreise führt zur Herkunft, zur Familie, zu Vätern und Söhnen. So intensiv, dass man direkt zur nächsten Familienfeier will. Der Autor und Regisseur ("Vanilla Sky", "Jerry Maguire") schafft es, mit höchst amüsanten Details richtige Menschen zu zeichnen. So ist es eine von vielen seltsamen Eigenarten Drews, "last looks" - letzte Blicke - zu sammeln. Passend, für einen, der sich eigentlich schon verabschiedet hat. Doch jetzt ist er einer, der nicht weiß, wo es hingeht. Der dringend seinen Weg finden muss. Und einen Soundtrack für die Fahrt ...

Im grandiosen Finale macht Drew endlich die Reise mit seinem Vater, zu der es nie kam. Ein unglaublicher Road-Trip, genial losgelöst, völlig frei von Standard-Dramaturgie. Drew lässt sich leiten von dem Soundtrack und dem persönlich zusammengeklebten Reiseführer Claires. Eine Art amerikanische "Amelie", ganz anders und genauso gut. Die CD-Kollektion (Musik: Cameron Crowe und Nancy Wilson) mit Kentucky-Klängen steuert die Gefühle sicher ins Glück, das gar nicht mehr aufhören will.